Veste Heldburg Veste Heldburg

Veste Heldburg

Kinder- und Sonderschulheim im Sperrgebiet

Das Kinderheim auf der Veste Heldburg bestand von 1954 bis 1982 und war Teil des DDR-Heimsystems.Ursprünglich für bis zu 130 Kinder konzipiert, wandelte sich die Einrichtung in den 1960er Jahren zu einem sogenannten „Sonderschulheim“ mit integrierter Hilfsschule. Die Veste lag während der deutsch-deutschen Teilung nur rund fünf Kilometer von der Grenze zwischen DDR und Bundesrepublik entfernt. - und befand sich ab dem 27. Mai 1952 im "Sperrgebiet" – mit weitreichenden Konsequenzen für die dort untergebrachten Kinder.

Die Gründe für eine Heimeinweisung waren vielfältig. Neben Fällen von Vernachlässigung oder familiärer Not wurden Kinder auch aus politischen Motiven eingewiesen – etwa, wenn sie als „schwer erziehbar“ galten oder ihre Eltern als oppositionell eingestuft wurden. Ziel war häufig die ideologische Umerziehung im Sinne der sozialistischen Staatsdoktrin. Für viele Kinder war die Veste Heldburg nur eine Station in einer langen Kette von Heimen, geprägt von Brüchen, Isolation und dem Verlust familiärer Bindungen. Der Kontakt zu Eltern und Geschwistern ging oft verloren und ließ sich später kaum oder gar nicht wiederherstellen – mit tiefgreifenden Folgen für die Biografien und Familienstrukturen.

Am 7. April 1982 zerstörte ein Großbrand große Teile der Einrichtung. Die Kinder wurden evakuiert und auf andere Heime verteilt. Damit endete die Nutzung der Veste Heldburg als Kinderheim

Nach der Schließung des Durchgangsheims Krayenburg im Herbst 1954 wurde die abgelegene Veste Heldburg als Ersatz ausgewählt.

Heimerziehung in der DDR

In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg dienten die Heime in der DDR vorrangig der Fürsorge für die zahlreichen Kriegswaisen. Dies änderte sich mit der Jugendhilfeverordnung vom 22. April 1965, die die Heimerziehung fortan zur gezielten Erziehung und Umerziehung im Sinne der sozialistischen Gesellschaft machte. Damit rückten die politischen und ideologischen Interessen des SED-Regimes in den Mittelpunkt, während die individuellen Bedürfnisse und Rechte der Kinder und Jugendlichen zunehmend in den Hintergrund gerieten.

Zwischen 1949 und 1990 durchliefen Schätzungen zufolge bis zu 495.000 Kinder und Jugendliche das Heimsystem der DDR. Dabei wurde grundsätzlich zwischen Einrichtungen für „normal erziehbare“ und „schwer erziehbare“ Kinder und Jugendliche unterschieden.

Über die Einweisung in ein Heim entschieden vor allem die örtlichen Einrichtungen des Ministeriums für Volksbildung, doch auch Schulen, Betriebe, gesellschaftliche Organisationen, die Polizei und das Ministerium für Staatssicherheit konnten Einfluss nehmen. Die Gründe für eine Unterbringung waren vielfältig, oft jedoch politisch motiviert – mit dem Ziel, die Jugendlichen im Sinne der sozialistischen Ideologie zu erziehen oder umzuerziehen.

Für viele Kinder begann mit der Einweisung eine regelrechte Odyssee durch verschiedene Heime, in denen sie oft Demütigung, Schikane und Gewalt erlebten. Der Kontakt zu leiblichen Eltern und Geschwistern wurde unterbrochen und war später entweder nicht oder nur unter großen Schwierigkeiten wiederherzustellen – mit weitreichenden Folgen für Familienstrukturen.

Zeitleiste zur Geschichte des Heimortes

1954
Das Ministerium des Innern der DDR überlässt dem Bezirk Suhl die Veste Heldburg zur Einrichtung eines Kinderheims. Von Beginn an bestehen Zweifel an ihrer Eignung: Die Wasserversorgung und Heizungsanlage befinden sich in schlechtem Zustand.

1955
Die ersten Kinder treffen ein – darunter Voll- und Halbwaisen sowie Kinder, die im DDR-Sprachgebrauch abwertend als „milieugeschädigt“ bezeichnet werden. Die offizielle Eröffnung des Heimes ist auf den 11. September 1955 um 14 Uhr terminiert. Bereits ab dem 1. September sollen Kinder und Erzieher angereist sein. Ursprünglich war die Belegung ab dem 15. Mai geplant, verzögerte sich jedoch aufgrund von Bauarbeiten und Materialengpässen. Zur Eröffnung zu Beginn des Schuljahres 1955/56 ist der bauliche Zustand weiterhin unzureichend.

Eine Kontrolle vom 20. bis 27. Oktober 1955 bemängelt neben materiellen Mängeln und fehlendem technischem Personal auch die unzureichende pädagogische Vorbereitung der Erzieher.

1960er Jahre
Das Normalkinderheim wird zum Sonderschulheim mit integrierter Hilfsschule umgewandelt.

1982
Am 7. April zerstört ein Brand große Teile des Heimes. Die Einrichtung wird daraufhin geschlossen. Die etwa 60 evakuierten Kinder werden auf andere Heime verteilt.

Einrichtung und Eröffnung des Kinderheimes

Die Eröffnung des Normalkinderheims Veste Heldburg im Jahr 1955 war eine direkte Folge der Schließung des Durchgangsheims Krayenburg im Herbst 1954, das aus hygienischen Gründen aufgegeben werden musste. Nachdem das Ministerium des Innern die Veste Heldburg dem Bezirk Suhl überantwortet hatte, schlug der Rat des Bezirkes Suhl der Abteilung Volksbildung im November 1954 vor, die Veste als neues Durchgangsheim zu nutzen. Eine Prüfung ergab zwar grundsätzlich eine Eignung, doch die abgelegene Lage und die Größe der Anlage galten als ungeeignet für diese Funktion. Stattdessen wurde beschlossen, das neue Durchgangsheim in Wernshausen im Kreis Schmalkalden einzurichten. Die dort lebenden Kinder sollten auf die Veste Heldburg umziehen.

Mit dieser Entscheidung konnte die dringend benötigte Zahl an Heimplätzen im Bezirk Suhl erhöht werden. Ein weiteres Ziel war die Zusammenführung von Geschwistern, die durch die damalige Heimstruktur häufig voneinander getrennt waren. Die Veste Heldburg bot durch ihre räumliche Kapazität die Möglichkeit, Kinder von der 1. bis zur 8. Schulklasse sowie eine Heimschule unterzubringen.

Die offizielle Eröffnung des Kinderheims fand am 11. September 1955 um 14 Uhr statt. Bereits ab dem 1. September trafen die ersten Kinder und Erzieher ein. Einer anderen Quelle zufolge könnte das Heim jedoch schon Ende Juni 1955 mit 40 Kindern belegt worden sein, da die vorbereitenden Bauarbeiten zu diesem Zeitpunkt weitgehend abgeschlossen waren. Ursprünglich war die Belegung ab dem 15. Mai 1955 vorgesehen, verzögerte sich jedoch aufgrund von Bauarbeiten und Materialengpässen. Zum Zeitpunkt der Eröffnung war der bauliche Zustand noch nicht vollständig optimiert.

Das Ministerium für Volksbildung

Das Ministerium für Volksbildung existierte von Okt. 1949 bis zum 31.12.1989.

Das Ministerium war die Nachfolgebehörde der Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung. Es war zuständig für die Vorschulerziehung, das Schulwesen, die sonstige schulische und außerschulische Bildung und Erziehung bis hin zur Jugendhilfe und Heimerziehung. Zusammen mit der Akademie der pädagogischen Wissenschaften legte es die Lernziele und -inhalte fest und war zuständig für die Erarbeitung von Lehrplänen und Lehrmaterialien. Außerdem unterstand dem Ministerium die Organisation und Planung der pädagogischen Wissenschaften mit Ausnahme der Berufsbildung und der Fach- und Hochschulen. Es gab außerdem die Ziele und Inhalte der Aus- und Fortbildung der Pädagogen vor. Auch die pädagogischen Hochschulen unterstanden dem Ministerium.

Quelle: http://www.archivportal-d.de/item/LT42UWKX7KGLA2C2MTFEFDFAZRTE4WOE 

Ein Kinderheim im Sperrgebiet

Die innerdeutsche Grenze – nahezu unüberwindbar

Die innerdeutsche Grenze prägte das Leben vieler Menschen in der DDR. Mit der Einrichtung eines fünf Kilometer breiten Sperrgebiets am 26. Mai 1952 und dem Mauerbau ab dem 13. August 1961 wurde sie für die meisten nahezu unüberwindbar. Das DDR-Sperrgebiet bezeichnete stark gesicherte und für die Öffentlichkeit unzugängliche Zonen. Besonders bekannt war das Grenzsperrgebiet entlang der innerdeutschen Grenze, das mit Zäunen, Wachtürmen, Minenfeldern und Selbstschussanlagen gesichert war. Dennoch wagten bis 1989 Tausende die Flucht – darunter auch Kinder und Jugendliche aus Heimen und Jugendwerkhöfen.

Die Lage der Veste Heldburg im Grenzraum

Das Kinderheim auf der Veste Heldburg befand sich im Landkreis Hildburghausen, im Bezirk Suhl, innerhalb des Heldburger Landes. Nach den Grenzziehungen von 1945 erstreckte sich das Gebiet wie eine Halbinsel zunächst in die amerikanische Besatzungszone und ab 1949 in Richtung Franken (Bayern). Der sogenannte „Heldburger Zipfel“, einschließlich seiner Ortschaften, lag während der deutsch-deutschen Teilung nur rund fünf Kilometer von der Grenze zwischen DDR und Bundesrepublik entfernt und galt damit ab dem 27. Mai 1952 als DDR-Grenzsperrgebiet.

Gefahren und Einschränkungen für Heimkinder im Sperrgebiet

Der Versuch eines Heimkindes, das Kinderheim zu verlassen, konnte als Flucht über die DDR-Grenze und damit als Staatsverbrechen gewertet werden – mit entsprechenden strafrechtlichen Konsequenzen. Es gab Versuche der Abteilung Volksbildung beim Rat des Kreises Hildburghausen, das Kinderheim aus dem Sperrgebiet zu verlegen, doch diesem Ansinnen wurde nicht stattgegeben.

Die Heimunterbringung auf der Heldburg brachte für die dort lebenden Kinder zahlreiche Einschränkungen mit sich. Der Zugang zum Sperrgebiet war streng geregelt, sodass Eltern, die außerhalb der Sperrzone wohnten, vermutlich seltener zu Besuch kommen konnten. Auch die Freizeitgestaltung war stark begrenzt – Aktivitäten wie Nachtwanderungen oder ähnliche Unternehmungen, die in anderen Heimen möglich waren, fanden hier nicht statt.


Fluchten aus dem Kinderheim

Dokumentierte Fluchtversuche aus DDR-Erziehungseinrichtungen

Hinweise auf Fluchten von Kindern und Jugendlichen aus DDR-Erziehungseinrichtungen finden sich in den Berichten der Deutschen Grenzpolizei (bis 1961) sowie der Grenztruppen der Nationalen Volksarmee (NVA). Diese Aufzeichnungen sind heute im Bundesarchiv Freiburg, Abteilung Militärarchiv, archiviert. Auch aus dem Kinderheim Veste Heldburg sind mehrere Fluchtversuche sowie erfolgreiche Fluchten dokumentiert. Aus verschiedenen Quellen konnten bislang acht Kinder und Jugendliche identifiziert werden, die entweder versuchten, die innerdeutsche Grenze zu überqueren oder ihre Fluchtabsichten äußerten.

Ein Beispiel aus den späten 1950er Jahren

Ein Vorfall aus den späten 1950er Jahren zeigt die Konsequenzen einer bekannt gewordenen Fluchtabsicht: Zwei Mädchen aus dem Kinderheim Veste Heldburg sprachen über ihre Pläne, in den Westen zu fliehen. Eine von ihnen, 12 oder 13 Jahre alt, wurde offenbar von ihrer Freundin zur Flucht überredet. Doch anstatt die Grenze zu überqueren, floh sie nach ihrer „Entweichung“ aus dem Heim zu ihrer Tante nach Suhl. Dort wurde sie vom Referat Jugendhilfe/Heimerziehung des Kreises Hildburghausen aufgespürt und zurück nach Heldburg gebracht.

Reaktion der Behörden

In der Folge wurden sämtliche Besuchsgenehmigungen abgelehnt; das Mädchen durfte im Heim keinen Besuch mehr empfangen. Dieses Beispiel verdeutlicht die strengen Maßnahmen, mit denen Fluchtversuche aus Heimen geahndet wurden.


Literaturhinweis: Anke Geier – „Unsicherheitsfaktor im Sperrgebiet“. Heimkinder auf der Flucht über die innerdeutsche Grenze, in: Gerbergasse 18. Ausgabe 2 (2022).

„Erziehungsbericht“ aus dem Sonderschulheim „Walter Knäblein“ im südthüringichen Mellenbach, 1975. Ein Fluchtversuch des 13-jährigen Mädchens zwei Jahre zuvor von der Heldburg scheiterte

Quelle: Kreisarchiv Hildburghausen

Am 14.7.2020 fand auf der Heldburg ein Treffen mit zwei ehemaligen Heimkindern statt. Weitere Teilnehmer waren Manfred May, Dr. Adina Rösch, Jana Schmidt-Danisch (Schlossverwaltung) und die Projektkoordinatorin. Nach einem Gespräch erfolgte ein 4,5 stündiger Rundgang durch über das Burgengelände und die Räume des ehemaligen Kinderheimes. Auch der französische Bau, in welchem sich die Schlafräume, die Hofküche und die Kohlekeller des Kinderheimes befanden und der für den Publikumsverkehr wegen umfänglicher Bauarbeiten noch nicht zugänglich ist, konnte besichtigt werden. Das Treffen bedeutete für alle Beteiligten einen großen Zugewinn. Es konnten Zeitzeugeninterviews geführt werden und auch die Schlossverwaltung erhielt wertvolle Informationen über den 1982 durch den Brand völlig zerstörten französischen Bau. Die beiden ehemaligen Heimkinder, die zuletzt in den 1970er Jahren die Burgräume betreten hatten, beschrieben diesen Rundgang als wichtigen Schritt im Rahmen ihrer Vergangenheitsbewältigung.