Mit der Eröffnung des Durchgangsheimes in Schmiedefeld im Jahre 1974 wurde eine Lücke in der Kette der Heimerziehung im Bezirk Suhl geschlossen. […] Kompliziert gestaltet sich die politische-ideologische Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen, da diese in ihrer Zusammensetzung ständig wechseln. Sie kommen aus unterschiedlichem Milieu, das zumeist unter sozialem Aspekt negativ gelagert ist, haben im schulischen Bereich oft mangelhafte Leistungen, ihre politische Grundhaltung ist in vielen Fällen nicht nur indifferent, sondern gegenüber unserem Staat und der sozialistischen Gesellschaftsordnung ablehnend. […] So ist eine wichtige Aufgabe, mit der Einweisung dieser Jugendlichen den schwierigen Prozeß der Umerziehung zu beginnen.
Schmiedefeld bei Neuhaus
Durchgangsheim Schmiedefeld
Das Durchgangsheim Schmiedefeld bei Neuhaus am Rennweg war von 1974 bis 1987 das zentrale Durchgangsheim des DDR-Bezirkes Suhl. Durchgangsheime wie Schmiedefeld waren Einrichtungen der DDR-Jugendhilfe, die zur kurzzeitigen Unterbringung von Kindern und Jugendlichen dienten, bis ein Platz in einem „geeigneten“ Heim oder Jugendwerkhof zur Verfügung stand. Sie unterstanden dem Ministerium für Volksbildung und waren oft mit einem Freiheitsentzug verbunden. Diese Heime wurden auch genutzt, um Minderjährige unterzubringen, die entweder aus ihrem Elternhaus, einem Heim oder einem Jugendwerkhof geflohen waren. Sie mussten dort auf ihre Rückführung warten, oft unter strengen Bedingungen
Am 14. Februar 1974 wurden die ersten beiden Mädchen in das Heim am Taubenbacher Weg 81 in Schmiedefeld eingewiesen, der letzte Junge verließ das Heim am 9. Dezember 1987.
Die Einweisung nach Schmiedefeld erfolgte über die Referate Jugendhilfe/ Heimerziehung bei den Räten der Kreise des Bezirkes Suhl, über die Volkspolizei, das Ministerium für Staatssicherheit und andere Heime. Für Schmiedefeld lassen sich knapp 1.500 Einweisungen nachweisen, Mehrfacheinweisungen mit einberechnet. Die meisten Kinder waren während ihrer Unterbringung in Schmiedefeld zwischen 13 und 17 Jahre alt. - das jüngste Kind war bei seiner Einweisung sieben Jahre alt. Das Gros der Kinder und Jugendlichen stammte aus dem Bezirk Suhl. Oft wurden sie bei Fluchten aus dem Elternhaus oder aus anderen Einrichtungen der DDR-Jugendhilfe aufgegriffen und standen unter dem Verdacht, die DDR illegal verlassen zu wollen.
Mit einer Einweisung in das gefängnisähnliche Heim begann für die meisten Kinder und Jugendlichen häufig eine leidvolle Tortur. Sie erlebten hier zum Teil monatelang Abgeschlossenheit, Ungewissheit über die eigene Zukunft, physische und psychische Gewalt.
Heimerziehung in der DDR
In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg dienten die Heime in der DDR vorrangig der Fürsorge für die zahlreichen Kriegswaisen. Dies änderte sich mit der Jugendhilfeverordnung vom 22. April 1965, die die Heimerziehung fortan zur gezielten Erziehung und Umerziehung im Sinne der sozialistischen Gesellschaft machte. Damit rückten die politischen und ideologischen Interessen des SED-Regimes in den Mittelpunkt, während die individuellen Bedürfnisse und Rechte der Kinder und Jugendlichen zunehmend in den Hintergrund gerieten.
Zwischen 1949 und 1990 durchliefen Schätzungen zufolge bis zu 495.000 Kinder und Jugendliche das Heimsystem der DDR. Dabei wurde grundsätzlich zwischen Einrichtungen für „normal erziehbare“ und „schwer erziehbare“ Kinder und Jugendliche unterschieden.
Über die Einweisung in ein Heim entschieden vor allem die örtlichen Einrichtungen des Ministeriums für Volksbildung, doch auch Schulen, Betriebe, gesellschaftliche Organisationen, die Polizei und das Ministerium für Staatssicherheit konnten Einfluss nehmen. Die Gründe für eine Unterbringung waren vielfältig, oft jedoch politisch motiviert – mit dem Ziel, die Jugendlichen im Sinne der sozialistischen Ideologie zu erziehen oder umzuerziehen.
Für viele Kinder begann mit der Einweisung eine regelrechte Odyssee durch verschiedene Heime, in denen sie oft Demütigung, Schikane und Gewalt erlebten. Der Kontakt zu leiblichen Eltern und Geschwistern wurde unterbrochen und war später entweder nicht oder nur unter großen Schwierigkeiten wiederherzustellen – mit weitreichenden Folgen für Familienstrukturen.
Zeitleiste zur Geschichte des D-Heimes Schmiedefeld
1972
Der Rat des Bezirkes Suhl beschließt den „Kauf und Ausbau des ehemaligen Ausbildungszentrums des VEB Landtechnik Obermaßfeld in Schmiedefeld zur Nutzung als Durchgangsheim der Jugendhilfe des Bezirkes Suhl“.
1974
Die Einweisung von Kindern und Jugendlichen in das Durchgangsheim beginnt ab Februar.
1987
Zum Ende des Jahres schließt das Durchgangsheim Schmiedefeld als zentrales Heim für den Bezirk Suhl. Seine Aufgabe übernehmen von nun an Durchgangsstationen in anderen Heimen des Bezirkes. Anschließend erfolgt der Umbau des Gebäudes zum „Dauerheim für schulbildungsunfähige, förderungsfähige Jugendliche“.
2010
Das Gebäude befindet sich heute in Privatbesitz.
2022
Am 2. Juni wird der DENKOrt eingeweiht.
„Aufnahmeschock" - Ankunft im Heim
Eine zentrale Methode in den Durchgangsheimen war die ausgesprochen schlechte Behandlung der Kinder und Jugendlichen nach ihrer Ankunft im Heim, die darauf ausgelegt war, zunächst ihren Willen zu brechen. Auch Betroffene, die in Schmiedefeld eingewiesen waren, berichten von diesem "Eingangsschock"; so wurden sie zunächst kalt abgeduscht, mit "Delitex" desinfinziert, manchen wurden die Harre geschoren. Anschließend mussten sie in den zumeist dreitägigen Einzelarrest.
Das erhaltene „Arrestbuch“ des Durchgangsheimes Schmiedefeld, später als „Isolierbuch“ bezeichnet, dokumentiert jede dieser Isolierungen. Die handschriftlichen Protokolle der Aufsichtspersonen listen akribisch die stündlichen Kontrollgänge. Die Gründe für die Arretierung waren stets die gleichen. Ebenso wie die immer gleiche Formel für den Beginn der Zeit in der Zelle: "geduscht – delitexbehandelt – eingekleidet – isoliert". Erst nach drei Tagen wurden die Neuankömmlinge der Gruppe zugeteilt.
12:15 [Mädchen] versuchte sich mit ihrem Turnhemd zu erhängen. Das Turnhemd wurde entfernt. [Mädchen] wurde belehrt.
Auszug aus dem Isolierbuch: Die Aufzeichnungen dokumentieren den Alltag in der Arrestzelle, der geprägt ist von Isolation, regelmäßigen Kontrollen, festgelegten Mahlzeiten und bestimmten Zeiten für die "Körperhygiene". In diesem Beispiel werden die Abläufe sachlich protokolliert, einschließlich der mehrfachen Suizidversuche eines 13-jährigen Mädchens am zweiten Tag seiner Isolierung.
Der Boden der ehemaligen Arrestzellen ist übersät mit Einritzungen, die von den dort festgehaltenen Kindern und Jugendlichen stammen. Namen, Daten, Bandnamen sowie verschiedene Symbole, wie Blumen, ein Galgen oder Schriftzüge dokumentieren ihre Zeit in Isolation.
Gefängnisähnliche Unterbringung
Viele DDR-Durchgangsheime erinnerten in ihrer Struktur an Gefängnisse. Das Heim in Schmiedefeld war von einem hohen Zaun mit nach innen gerichtetem Stacheldraht-Übersteigschutz umgeben, die Fenster waren vergittert, und der Tagesablauf der Kinder und Jugendlichen folgte einer strengen, militärisch organisierten Routine. Die Schlafräume befanden sich in einem separaten Gebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite, und nachts wurden die Insassen eingeschlossen. Im Keller des Hauptgebäudes befanden sich mehrere Arrest-Zellen, die zur Isolierung der Kinder und Jugendlichen dienten. Manche Zeitzeugen berichten von sog. "Stehzellen", die aufgrund ihrer geringen Größe nur ein Stehen während der Isolation zuließen. In den Arrestzellen wurde nachts das Bettgestell heruntergelassen und eine alte Matratze und eine dünne Armeedecke daraufgelegt. Tagsüber war es den Insassen verboten darauf zu sitzen oder zu liegen. In der hinteren Ecke stand ein weicher Gummieimer mit Deckel, der als Toilette diente. Morgens beim Waschen mussten die Insassen "Kübeln", also ihre Eimer selber ausleeren und säubern.
Alltag im Heim
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Zwangsarbeit im Durchgangsheim
Die meisten Kinder und Jugendlichen wurden aus Schmiedefeld in Spezial-Kinderheime oder Jugendwerkhöfe verlegt. Bis zu diesem Zeitpunkt unterlagen sie einem strengstens reglementierten Tagesablauf, der kaum Raum für Freizeit ließ. Mehrere Stunden mussten sie monotone Heimarbeiten verrichten. Für Volkseigene Betriebe (VEB) stellten sie unter anderem Christbaumschmuck (VEB Lauscha) her, montierten Elektroarmaturen oder fertigten Wäscheetiketten an. Wer die vorgeschriebenen Arbeitsnormen nicht erfüllte oder die Arbeit verweigerte, musste mit strengen Sanktionen bis hin zum Einzelarrest rechnen.
"Verlorene Zeit"
Filmbeitrag
Ehemalige Heimkinder erinnern sich an Schmiedefeld
Im Kinderheim Mellenbach war ich gezwungen worden, mich vor einem Erzieher zu duschen und habe ihm dann den Handtuchhalter drübergezogen. Ich wurde nach Hildburghausen (Anm. Bezirkskrankenhaus für Neurologie und Psychiatrie) geschafft, kriegte Tabletten und war immer sehr müde. Dann kam ich nach Schmiedefeld und sollte weiter in einen Jugendwerkhof. In Schmiedefeld hat mich ein Mädchen aus meinem Heimatort beim Waschen gesehen: „Du hast aber einen dicken Bauch“ und hat der Heimleitung erzählt, dass ich schwanger bin. Dann wusste es gleich die vom Referat Jugendhilfe/Heimerziehung; die sagte zu mir: „Das Kind kriegst Du nicht.“ Ich wurde im Krankenhaus untersucht. Als ich zurückgebracht worden bin, lag eine Puppe am Zaun, eine nackte Puppe. Eine Erzieherin sagte zu mir: „Das Kind kriegst du hier, das liegt dann neben der Puppe“. Ein Junge hat versucht, die Puppe durch den Zaun reinzuziehen. Den hat die Heimleiterin mit einem Lederriemen verprügelt. Die Jugendhilfe wollte die Abtreibung, der Arzt hat sich aber geweigert.
Oft lag ich auf dem Boden und glaubte, dass die Welt so sein muss. Was ich mir selber beigebracht habe in der Zelle: mit mir alleine zu sprechen, immer und immer wieder! Ich erzählte mir die schönsten Sachen. Was ich gelernt habe kam erst später, aber Angst vor der Angst zu haben,schmerzte mich nicht am Körper, sondern im Kopf. Ich überbrückte die Schmerzen mit Reden zu mir selber, dann fing ich an, mir selber weh zu tun, damit kam ich gut zurecht.
Als ich dann wiederkam, bin ich aus Angst vor der Lehrerin nicht mehr in die Schule. Da holte mich die Jugendhilfe ab. Ich kam nach Schmiedefeld, da war alles noch eine Baustelle. Wir waren nur zwei Mädchen. Zum Schlafen kamen wir in ein Gebäude gegenüber. Ja, hier selbst ging es eigentlich. Die Leute waren vernünftig, die hier waren, ein Ehepaar. Da war ich aber nicht lange, dann haben sie mich abgeholt, haben mich nach Gera, ins Durchgangsheim Gera, gebracht. Und da war es natürlich nicht so schön. Da war man eingesperrt, auf ein paar Quadratmeter mit ... undurchsichtigen Scheiben und alles, also auf engstem Raum. Das war wie ein Knast.
Gearbeitet haben wir Weihnachtsbaumschmuck für Lauscha, haben die Aufhänger angebracht. Die meisten sind nachts angekommen und dann auf die Zellen gekommen. Wir wurden von Mädchen abgeduscht, kaltes Wasser, Erzieher standen dabei. Ein Arzt aus Gräfenthal kam, tastete mich ab und bestätigte die Arresttauglichkeit. Ich war die meiste Zeit in Einzelarrest. Oft lag ich auf dem Boden und glaubte, dass die Welt so sein muss. Was ich mir selber beigebracht habe in der Zelle: mit mir alleine zu sprechen, immer und immer wieder! Ich erzählte mir die schönsten Sachen. Was ich gelernt habe kam erst später, aber Angst vor der Angst zu haben, schmerzte mich nicht am Körper, sondern im Kopf. Ich überbrückte die Schmerzen mit Reden zu mir selber, dann fing ich an, mir selber weh zu tun, damit kam ich gut zurecht.
Das war mir schon bewusst, dass ich nach Schmiedefeld komme. Aber, dass das so schnell ging, wusste ich nicht. Ne. Also, mir war das unheimlich schnell. Das war also die Frau und dann war noch ein Fahrer dabei und noch ein Mann. Und ich war hinten drin, mit einem Mann, ne. Und wir sind nach Schmiedefeld und da, sowie der die Tür aufgerupft hat, bin ich dann geflüchtet. War ja gleich zu sehen, dass das das Durchgangsheim war. Gitter davor. Und die große Toreinfahrt. Also bin ich gleich abgehauen. Ja, die hatten mich nach ein paar Stunden wieder. Und dann habe ich es halt nochmal versucht, später. Und war auch halt nur ein paar Tage. Ich bin dann gleich runter in den Keller in die Zelle. Tagsüber war die Stahlplatte hochgeschlossen. Wenn ich mich auf den Boden gelegt hatte, kamen sie und haben Wasser reingeschüttet.
Das Referat Jugendhilfe von Meiningen hat mich dorthin gefahren. Mit einem Wolga haben sie mich dorthin gefahren. Die haben nicht gesagt, wo es hingeht und was das ist. Die haben bloß gesagt, ich soll mich dort benehmen, dann hätte ich es gut und so einen alten Schrott. Wir sind vorgefahren, dann. Da musste ich erstmal meine Uhr und das ganze Zeug. abgeben. Von da aus musste ich runter, hatte ja schon ein bisschen längere Haare. Die haben mich halt festgehalten und haben mir einfach die Haare geschnitten. Weil ich mich noch gewehrt hatte. Und dann musste ich in die Zelle. Und vor der Zelle standen zwei Stühle. Einer für die XX und einer für mich. Sie musste hinten rein. Und die hat hinten so eine Eisenpritsche gehabt. Und oben war ein kleines Fenster mit Glasbausteinen. Und ich war eben gleich im Nebenraum. Das war eine Stehzelle, die war nicht sehr groß. Und ich habe in der Stehzelle geschlafen. Da hatte ich so, so eine uralte Matratze mit Seegras, zwei Decken. Und dann eben noch ein einfaches Kissen. Und abends musste ich mich dann ausziehen.
DENKOrt Schmiedfeld
Am 2. Juni 2022 wurde der DENKOrt feierlich eröffnet – gemeinsam mit ehemaligen Heimkindern sowie Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. Die Veranstaltung begann mit einem Grußwort des Thüringer Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Dr. Peter Wurschi, gefolgt von einem Impulsvortrag zum DDR-Heimsystem durch Dr. Christian Sachse (UOKG e.V., Berlin).
Im Anschluss enthüllte die Staatssekretärin für Kultur in der Thüringer Staatskanzlei, Tina Beer, gemeinsam mit Zeitzeug:innen die Erinnerungstafel. Danach folgte ein Rundgang durch die ehemaligen Heimräume. Abschließend las Manfred May aus den Bänden der „edition H“, die authentische Erfahrungen aus der DDR-Heimerziehung dokumentieren.
Der DENKOrt steht als Lern-, Erinnerungs- und Begegnungsstätte für Besucher:innen offen.
Einweihung des neuen DENKOrtes: Ehemalige Heimkinder und Zeitzeugen berichten